Museumsreife

Museumsreife
Nilo Hansen | Zeichnung 

Vorgestern hatte ich Gelegenheit, die Ausstellung Gauguin in Basel zu besuchen. Die Fundation Beyeler ist ein tolles Museum. Vielmehr könnte es ein tolles Museum sein. Aber es ist eben nur ein toller Showroom, eine Verkaufsausstellung. Sicherlich kann niemand eines der Bilder von Gauguin kaufen, aber jeder kann Kunst kaufen. Und das ist der tiefere Sinn von solchen Kunst- Tempeln. Sie vertreten nicht die darin gezeigten Kunstwerke, sondern den abstrakten Begriff von Kunst als Produkt. Als käufliches Produkt. Zunächst legen Sie fest, was überhaupt ein Produkt ist, das als Kunst betrachtet werden soll.

Ist es als solches auf dem Markt eingeführt, zum Beispiel indem es besprochen oder in einer Ausstellung gezeigt wurde, ist der Mechanismus der Wertsteigerung oder des Verfalls automatisch in Gang. Er kann dann selbst von den Galeristen und anderen Marktteilnehmern, auch den Konsumenten, bestimmt werden. Auf diese Weise zementieren sie die Macht aller Galerien, Herrscher über den Begriff Kunst zu sein. Mit jeder Ausstellung, ja jedem einzelnen Bild behaupten sie sich als gottgleiche Institution, die bestimmt, wer teilnehmen darf und wer nicht. Sie mehren den Reichtum derer, die solche Produkte besitzen, indem sie deren Wert steigern und sie mehren die Zahl der Produkte, die in den Markt eintreten und damit als potentiell wertsteigerbare Objekte überhaupt vorhanden sind. Das Mittel, mit dem dies geschieht ist allein die Tatsache, das diese Produkte hier gezeigt, also ausgestellt oder besprochen werden.

Es gibt soviel Kunst. Millionen von Bildern werden jedes Jahr geschaffen. Aber zu Produkten werden nur die, die an die Tür solcher Tempel klopfen, und Einlass finden. Mit der unterwürfigen Bitte um Einlass machen sich die Bilder zu Produkten. Zunächst einmal zu völlig wertlosen Produkten, aber sie werden zum Teil des Marktes. Werden sie angenommen, ganz gleich von welcher Galerie, dann erhalten sie einen Wert. Einen Marktwert. Einen künstlerischen Wert erhalten sie auf diesem Wege nicht, den bringen sie mit, oder auch nicht.

Dieses System bringt eine Reihe von Problemen mit sich. Eines davon ist, dass jede Menge Werke durch Ihre Erhebung in den Adelsstand des marktwertbehafteten Objektes zu Kunst werden, die alles andere als der Kunst wert sind. Nicht alles was Eingang findet in den Tempel des Marktes, in die Shopping- Mall des Kunstmarktes, hat Wert. Vieles hat einen Marktwert, ist aber nichts Wert, weil es außer die, die es besitzen sonst keinen in irgendeiner Weise bereichert, z.B. den Betrachter, der bei seiner Betrachtung eine ästhetische Erfahrung machen könnte, dazu auch bereit ist, diese geradezu sucht, schließlich auch Eintritt zahlt. Bei vielen Werken, die „viel Wert“ sind, macht er das aber durchaus nicht. Gelangweilte Ratlosigkeit ist der Gesichtsausdruck den man als „Default“- Einstellung bei den meisten Ausstellungsbesuchern festlegen muss.

Das solche Werke unter Umständen einen hohen Wert haben, niemandem ohne Benutzerhandbuch aber irgendwie nützlich sind, ist traurig, dumm und unnötig. Aber da es immer welche gibt, in erster Linie die Verkäufer und Wiederverkäufer, denen das Geschäftsmodell eben doch was nützt, kann man das Spektakel auch einfach nur lästig und ein wenig verwirrend finden, ohne sich weiter darüber aufzuregen. Zum Glück wird nicht alles was absoluter Schrott ist, automatisch zu teurer Kunst. Zum Glück bleibt vieles von dem dort wo es hingehört, nämlich in der Versenkung.

ABER:

In der Versenkung bleibt eben auch vieles von dem, was dort nicht hingehört, sondern eben wirklich toll ist. Wieviele Kunstwerke schlummern im Dunkeln werden nie gesehen.

Als Künstler sollten wir uns wehren! Ich fordere einen Kunstbegriff, der den Markt lenkt! ;-)

Solange die Begrifflichkeit „Kunst“ nichts Konkretes leistet, sondern alles verkörpern kann, solange können Galeristen und Kunstkritiker eben auch alles zu Kunst machen und sei es noch so unerträglicher Schrott. Nur eine klare Begriffsbestimmung für „Kunst“ könnte das ändern. Es wäre dann möglich das gute vom schlechten zu trennen.

Ich weiß, dass das nicht geht, weil es implizieren würde, dass der Kunstbegriff auch die Hoheit über meine persönlichen sinnlichen Erfahrungen übernehmen würde. Wer will das schon?

Der wahre Gehalt von Kunst lässt sich jedenfalls nicht in Geld ausdrücken. Er ist ein immaterielles Wechselspiel zwischen dem Kunstobjekt und dem Rezipienten. Das gleiche Objekt kann für den Einen einen ganz anderen wert haben als für den Anderen. Er ist nicht zu fassen und nicht zu begreifen und daher auch nicht in Geld umzurechnen. Wenn wir es aber trotzdem tun, dann deshalb, weil das Gesellschaftssystem, in dem wir leben uns keine andere Wahl läßt.

Es scheint, als wäre die Kunst eine der letzte großen Spielwiesen für den absolut unregulierten Kapitalismus.

Wir sollten das ändern!

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