Atomkrieg hin oder her

Eine kleine Geschichte über Wahrnehmungen, Angst und über alternative Methoden mit ihr umzugehen. Eine wahre Begebenheit.

Atomkrieg hin oder her

Die dekadente Seite meiner Arbeit bringt es mit sich, nicht nur in gehobenen Hotels zu wohnen, sondern auch der ein oder anderen luxuriösen Beschäftigung nachgehen zu dürfen. Der Besitzer des schönen Landhotels im Bayerischen Wald hatte vor vielen Jahren damit begonnen, ein wenig seines frei verfügbaren Kapitals in Oldtimer anzulegen. Über die Jahre entstand so eine stattliche Sammlung von altertümlichen Fahrzeugen mit klangvollen Namen wie zum Beispiel „Corvette C2 Sting Ray“ oder „DAX-Cobra 427“. Mit diesen und ähnlichen Autos durften wir einen ganzen Tag durch die bayerisch bewaldeten Berge cruisen. Dabei galt es, streng nach einem Roadbook zu fahren, denn selbst bei einer solch gediegenen und entspannten Aktion scheint es notwendig zu sein, das man miteinander in Wettbewerb tritt. Natürlich geht es bei einer Oldtimer-Rallye nicht darum als erster am Ziel zu sein, sondern um pünktliches Erscheinen. Wobei pünktlich in dem Falle bedeutet, nicht zu spät, aber auch nicht zu früh die Ziellinie zu überfahren. Ganz nebenbei müssen verschiedene knifflige und lustige Aufgaben gelöst werden, deren Ergebnisse dann mit in die Wertung einfließen. Ein durchaus freudbetontes und schönes Erlebnis. Noch dazu in wunderbarer Landschaft.

Der durchschnittliche Teilnehmer an einer solchen Aktion ist demgemäß ein aufgeweckter, technisch und stilistisch interessierter Weltbürger mit einer gewissen wettbewerbserprobten Erfolgsbilanz und daher ein wenig Kleingeld im Handschuhfach. Leute meines Schlages trifft man bei diesen Events ehr nicht intrinsisch motiviert, sondern berufsbedingt an.

Aber es gibt etwas, das die Teilnehmer an diesen Luxus-Events mit Gästen bei einer gewöhnlichen Gruppenreise gemein haben: Es geht ihnen um soziale Resonanz innerhalb der Gruppe, Spaß, Unterhaltung und um das Anlegen einer schönen Erinnerung für später. Die gemeinsamen Abende ähneln sich deshalb.

Die Tischgespräche kreisen um Dinge, die unmittelbar mit dem zu tun haben, was man tagsüber erlebt hat. Später am Abend spült der aktuelle Informationsdruck Themen in die Gespräche, die nicht mit den Tagesereignissen zu tun haben, sondern mit dem Leben ganz allgemein. Mir fällt auf, dass das fast immer auf ähnliche Art geschieht. An irgend einem Punkt des allgemeinen Geplappers taucht ein Link zu etwas aus dem aktuellen gesellschaftlichen Tagesgeschehen auf. Der wird dann verbal angeklickt, aber nur, wenn man die Reaktionen der Gesprächspartner mit möglichst hoher Wahrscheinlichkeit vorhersagen kann. Das Ziel ist also nicht unbedingt eine Erweiterung der eigenen Erkenntnisse zu einem bestimmten Thema, sondern die Bestätigung vorhandener Vorurteile durch Resonanz. Das funktioniert in der Regel gut und bringt die Gesprächspartner näher. Dissenz ist dem Zeitgeist entsprechend unerwünscht.

Kollektives Gejammer oder Fingerzeigen erfüllt die Sehnsucht nach Gruppenzugehörigkeit besser als kontroverse Einzelmeinungen, da diese für den Durchschnitts-Teilnehmer nur mit einer gewissen Anstrengung zu widerlegen wären, der man lieber aus dem Wege geht. Andererseits möchte man auch nicht das Gefühl haben, ein Heuchler zu sein, indem man Gesprächsbeiträge unerwidert lässt, denen man eigentlich nicht zustimmt. Im Ergebnis entwickeln Gruppen an solchen Abenden ein sicheres Gefühl dafür, was geht und was nicht. Das betrifft auch die Tonart. Ich erlebe es praktisch selten, dass es diesbezüglich zu Unstimmigkeiten kommt. Liegt einer daneben, so korrigiert er sich meistens sogleich selbst und der Chor ist wieder im Gleichklang. Wir scheinen das zu brauchen.

Das Gespräch steuerte an diesem Abend scharf an dem bereits in jeder Hinsicht verbrauchten Thema Corona vorbei und geradewegs auf den Krieg in der Ukraine zu. Es zeigte sich, dass die gelöste und entspannte Stimmung, die normalerweise an solchen Abenden herrscht, heute nur eine Fassade war, die langsam ein paar Risse bekam. Die Corona-Jahre und die aktuelle Nachrichtenlage hatten die Menschen dünnhäutiger gemacht. Aus anderen Gesprächen wusste ich, dass diese Dünnhäutigkeit nicht zu mehr Empfindsamkeit, sondern zu einer allgemeinen Biestigkeit geführt hatte. Also Achtung!

„Der Wahnsinnige macht es doch eh nicht mehr lange, der hat doch Krebs!“ ließ eine Teilnehmerin am Tisch vernehmen. Sie war Mitte dreißig, im Familien-Unternehmen beschäftigt, und von Kindheit an mit dem Thema Oldtimer vertraut, weil Ihr Vater auch „sammelt“, wie sie sagte.

„Ja, aber wenn er nun vorher bis Berlin durchmarschiert, der Russe, wer soll den den stoppen, so marode, wie die Bundeswehr ist!“ kam es vom anderen Tischende als Entgegnung. Der ältere Herr mit Glatze trug einen Werstover mit einem Muster aus der Endphase des Kalten Krieges, über das ich im Zweifel war, ob es retro oder echt war.

„Das schaffen die nie! Die ganze Armee ist doch so korrupt, die müssen ja schon die Chips aus den Waschmaschinen ausbauen, damit sie noch ein paar Raketen abschießen können.“ Der Optimist in der Runde, ein gemütlicher Dicker, der im Hauptberuf Vertriebsleiter bei einer großen Versicherung ist, winkte den Kellner heran, um sich noch ein Bier kommen zu lassen.

„Die Russen können es immer noch nicht verwinden, das sie keine Rolle mehr spielen im Weltgeschehen. Die wollen unbedingt ihr Imperium wieder aufbauen. Wenn die Ukraine fällt, dann kommen als nächstes die Baltischen Staaten dran und dann gibt es Krieg.“ prophezeite der Kalte Krieger, für den Krieg nur dann Krieg zu sein schien, wenn es ihn selber betraf.

„Aber die Ukraine ist ja gerade wieder auf dem Vormarsch. Ich bin auch für die Waffenlieferungen. Wenn die Ukrainer erst die Leoparden haben, dann kriegen die Russen tüchtig auf die Mütze.“ warf mein unmittelbarer Tischnachbar ein.

„Ich bin mir da nicht so sicher“ antwortete ich. „Was mir Angst macht ist, das wir als Westen immer mehr und immer schwerere Waffen liefern und auch erklärt haben, Russland ruinieren zu wollen. Die Frage ist doch: was wird wohl eine Atommacht tun, kurz bevor sie ruiniert ist?“

„Gar nichts tun die. Das ganze Getue mit den Atomraketen ist doch nur Säbelrasseln“ hörte ich daraufhin den Dicken Optimisten. Und diesmal bekam er Verstärkung.

„Angst ist ein ganz schlechter Ratgeber. Ich persönlich habe gar keine Angst. Angst lähmt und macht einem das Leben schwer. Ich vertraue darauf, das sich das alles richten wird.“ schaltete sich einer der beiden jungen Männer ein, die die Rallye des Tages mit Bravour gewonnen hatten. Sie waren mir schon den ganzen Tag über aufgefallen. Beide hatten Sie so eine auf angenehme Art selbstsichere, ruhige und wache Ausstrahlung. Ihr Blick war klar und interessiert und stets dem Gesprächspartner zugewandt. Wie sich herausstellte, waren beide seit langem befreundet. Im Leben außerhalb unserer Bayerischen Wald-Idülle arbeiteten sie als Controller in einem konzernartigen Industriebetrieb. Mit Führungsverantwortung, wie einer von Ihnen beiläufig aber doch an der richtigen Stelle erwähnte. Ich war froh die beiden am Tisch zu haben. Nicht nur wegen ihrer angenehmen und warmherzigen Ausstrahlung, sondern auch wegen Ihres positiven Weltbildes das sie versprühten, immerhin hatte ich mit dem Hinweis auf einen möglichen Atomkrieg ein wenig die Stimmung beeinträchtigt.

Auf meine nachfolgende Frage, wer es denn richten solle, kam eine Antwort bei der ich zum ersten mal an diesem Abend schlucken musste: „Gott!“ gab einer der beiden zurück.

Der andere wollte von mir wissen, ob ich gläubig sei. Die positive Ausstrahlung der beiden war so stark, das man meinte, der Allmächtige persönlich schwebe über uns im Raum und sie seien nur eine Art Medium. Nachdem ich etwas kleinlaut „nein“ gesagt hatte beschlich mich sogar das Gefühl, das es schade sei, das sagen zu müssen. Etwas in meinem tiefsten Inneren beneidete die beiden um ihr fröhliches Gottvertrauen, mit dem sie nicht nur die Rallye gewonnen hatten, sondern auch keinerlei Beeinträchtigungen aufgrund der Kriegsgefahr zu verspüren schienen. Sie ruhten dermaßen in sich selbst, blickten einen warm und herzlich an und freuten sich auf die Zukunft.

„Das ist schade.“ Gab der andere des Sieger-Duos zurück. „Mein Glaube hat mir schon oft geholfen in meinem Leben. Für mich ist es wichtig, das ich weiß, das da jemand ist, der sich meiner annimmt, und dem ich meine Sorgen und Ängste anvertrauen kann. Ich werde sie damit los, gebe sie ab und bin frei und zuversichtlich. Schließlich habe ich Familie und zwei kleine Kinder um die ich mich kümmere. Denen möchte ich die gleiche Zuversicht weitergeben.“

„Hast Du mal versucht, Gott an Dich heranzulassen, dich von ihm berühren zu lassen?“ Nein, das hatte ich noch nicht ernsthaft versucht. Ich konnte spüren wie sehr die Waage zu Ungunsten meiner inneren Balance ausschlug. Bei dieser Art Diskussion verfliegt jedes Argument, sobald man es in die Waagschale legt zu nichts als schwerelosen Worten, zumindest wenn einem das Ergebnis von Glauben mit dermaßen offensichtlicher Guter Laune und Optimismus entgegentritt.

Ich wurde unsicher, versuchte aber meine bisher ungläubig verbrachten Jahrzehnte ein wenig zu verteidigen: „Immerhin hat es doch schon viele schlimme Kriege gegeben, mit unzähligen Opfern und Zerstörungen. Die Menschheit hat doch hinreichend bewiesen zu was sie diesbezüglich in der Lage ist. Es gibt doch Wahrscheinlichkeiten.“ versuchte ich mein Glück. „Ich finde, der Westen sollte eine Politik machen, die das Risiko minimiert, er macht aber das Gegenteil.“

Mein Hinweis auf die zahlreichen Katastrophen der Geschichte, von dem ich dachte es sei ein Argument, ja eigentlich ein empirischer Beweis, blieb unerhört, ebenso wie mein Hilferuf nach Vernunft. Bei ehr rational geführten Diskussionen zu diesem Thema wurde ich normalerweise mit dem hypothetischen Hinweis auf das was kommen würde, wenn man nicht militärisch unterstützte, kaltgestellt. Hier schienen jedoch nur Hoffnung und Zuversicht zu gelten.

Die Antwort des jungen Mannes, die mit voller körpersprachlicher Unterstützung seines Duett-Partners wie aus der Pistole geschossen kam, war für mich gleichsam ein Lehrstück darüber, was Glaube gleichzeitig auszurichten und anzurichten vermag. Der junge Mann wusste alles über die technischen Details einer „Corvette C2 Sting Ray“. Was Weltgeschichte anbetraf wusste er: „Der letzte Atomkrieg war ja dann auch nicht soo schlimm.“

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